Ausdauer beim Beten
Dr. Peter Masters
Er sagte ihnen aber auch ein Gleichnis,
um ihnen zu zeigen, dass es nötig ist,
allezeit zu beten und nicht nachlässig zu werden.
Lukas 18,1
Seid ausdauernd im Gebet
und wacht darin mit Danksagung.
Kolosser 4,2
Betet ohne Unterlass!
1. Thessalonicher 5,17
Wenn wir in bestimmten Situationen die Hilfe Gottes brauchen oder wir uns gedrängt fühlen, für jemanden zu beten, warum sollen wir das dann wiederholt und oft über einen langen Zeitraum tun? Häufig hört und erhört der Herr Gebete beinahe sofort, vor allem in Notzeiten. Aber jeder betende Christ erlebt auch das Umgekehrte, nämlich lange Wartezeiten, die sich manchmal über viele Jahre erstrecken können. Manchmal stellt sich die Frage, ob es angemessen sei, für eine Person oder Situation wiederholt zu beten. Aber das muss so sein, weil uns das der Text in Kolosser 4,2 sagt. Warum muss es sein? Was beabsichtigt Gott damit? Wir behandeln doch unsere Mitmenschen auch nicht so. Wir warten doch auch nicht, bis jemand uns fünfzig Mal um etwas gebeten hat, bevor wir reagieren. Es gibt mehrere Gründe, warum Gott so mit uns handelt.
FÜNF GRÜNDE, WARUM GOTT DIE ERHÖRUNG HINAUSZÖGERT
Gott lässt uns wohl auch deshalb wiederholt um etwas bitten, damit wir Ihn aus der richtigen Perspektive sehen. Er lässt es nicht zu, dass wir aus Ihm einen Diener machen, der uns ständig zur Verfügung steht; denn sonst würden wir Ihn nicht mehr um Dinge bitten, sondern nur noch fordern: »Mach dies!« oder »Mach jenes!« Wenn Er alle unsere Gebete sofort erhören würde, dann würden wir uns sehr bald als die Herren sehen und den Herrn als einen Diener, der nur für unser Wohlergehen zu sorgen habe. Wir würden vergessen, Ihm als dem erhabenen, souveränen Gott die Ehre zu geben. Deshalb lässt Er uns warten. Er wünscht sich von uns Demut und Ausdauer beim Gebet, damit wir nicht vergessen, wer Er ist und wer wir sind – unwürdige Kreaturen, die allein aus Gnade erlöst sind. Es liegt an unseren gefallenen Herzen, dass wir unablässig beten müssen.
Dann wieder reagiert Gott vielleicht deshalb mit Verzögerung auf unsere Gebete, weil Er will, dass wir auf dem Boden der Wirklichkeit bleiben. Wenn wir Gott wiederholt um etwas bitten müssen, begreifen wir, dass die gewünschte Gebetserhörung keine einfache Sache ist und nicht von Menschen herbeigeführt werden kann. Wenn unser Gebet sich über einen längeren Zeitraum hinzieht, wissen wir es wirklich zu schätzen, wenn es erhört wird. Falls wir nur einmal um die Errettung eines Sünders bitten müssten, und er wäre am nächsten Tag erlöst, würden wir vielleicht aufhören, an die totale Verdorbenheit der menschlichen Natur zu glauben. Wir würden stattdessen annehmen, die Menschen seien in Wirklichkeit vernünftige Wesen, die leicht zu überzeugen und offen für das Evangelium seien. Deshalb lässt der Herr uns warten, damit wir in der gesunden Lehre bleiben und begreifen, wie schwer es aus menschlicher Sicht ist, unsere Gebete zu erhören.
In ähnlicher Weise verzögert Gott Seine Reaktion auf unsere Gebete wohl auch deshalb, um uns an unsere eigene Schwachheit und Abhängigkeit von Ihm zu erinnern. Müssten wir Ihn nur einmal um etwas bitten, so würden wir bestimmt das Ausmaß unserer Hilflosigkeit aus den Augen verlieren. Wenn wir in einem einzigen Jahr tausend bedeutende Gebetserhörungen erleben würden und unser Leben ein einziger Siegeszug wäre, dann wären wir wahrscheinlich aufgebläht vor lauter geistlichem Stolz. Vielleicht meinten wir dann, wir selbst brächten diese wunderbaren Dinge zustande – mit nur ein wenig Hilfe vom Herrn. Weil der Herr uns aber warten lässt, müssen wir erkennen, dass wir niemals aus eigener Kraft das zustande bringen können, wofür wir beten.
Häufig erleben ganze Gemeinden diese Verzögerung bei Gebetserhörungen. Sie plagen sich lange mit Missionseinsätzen in ihrem näheren Umfeld, aber ohne sichtbaren Erfolg. Wenn aber jedes Gemeindeglied erkennt, dass Menschen nicht dazu überredet werden können, das Wort Gottes anzunehmen, greift der Herr plötzlich ein.
Vielleicht hat der Herr ein weiteres Ziel, wenn Er von uns fordert, ausdauernd zu sein im Gebet, und zwar will Er uns die Voraussetzungen für das Gebet ins Gedächtnis rufen. Wenn wir Gott eine Zeit lang um etwas bitten, mit wachsendem Verlangen und zunehmender Sorge, dann fangen wir an, uns zu fragen: »Hält Gott vielleicht deshalb Seine Hand zurück, weil ich nicht danach strebe, ein heiliges Leben zu führen? Oder liegt es daran, dass ich anderen nicht von Ihm erzähle oder nicht in Seinem Wort lese? Bin ich vielleicht nicht aufrichtig und treu?« Wir fühlen uns herausgefordert und beginnen, über die Voraussetzungen für das Gebet nachzudenken. Indem der Herr mit Seiner Antwort wartet und von uns fordert, Ihn immer wieder darum zu bitten, bringt Er uns dazu, uns selbst zu prüfen und zu hinterfragen.
Wenn Gott uns warten lässt, beabsichtigt Er damit auch, dass wir uns fragen, was wirklich wichtig ist. Wenn Gott jedes Gebet sofort erhören würde, gliche unsere Gebetsliste bald einem Einkaufszettel, der stark erweitert würde mit Bitten um unnötige Annehmlichkeiten und Luxusgüter. Aber wenn wir monatelang und beharrlich für bestimmte Anliegen beten müssen, finden wir schnell heraus, welche von ihnen unwürdig oder unangemessen sind. Solche Anliegen werden wir bestimmt nicht wiederholt vor den Herrn bringen. Wir erkennen, dass wir sie ruhig weglassen können. Auf diese Weise hilft uns das Warten auf eine Gebetserhörung dabei, selbstsüchtige und von Weltliebe geprägte Bitten auszufiltern. »O welche Tiefe des Reichtums sowohl der Weisheit als auch der Erkenntnis Gottes!« (Röm. 11,33)
WACHSAMKEIT IM GEBET
Seine Ermahnung, im Gebet ausdauernd zu sein, ergänzt der Apostel mit diesen Worten: »... und wacht darin mit Danksagung.« Das bedeutet zunächst nicht, dass wir nach der Gebetserhörung Ausschau halten sollen, obwohl dieser Gedanke auch zum Ausdruck kommt. Vielmehr bedeuten diese Worte: Seid wachsam, passt auf, bleibt wach! Es besteht die Gefahr, dass wir uns beim Gebet sehr schnell entspannen oder dass unsere Leidenschaft nachlässt. Das Gebet wird dann zu einem Automatismus. Wir denken dabei nicht mehr nach, und wir empfinden dabei auch kein Verlangen mehr. Wachsam zu sein oder zu bleiben bedeutet vor allem, dass wir die Qualität, die Art und den Umfang unserer Gebete streng überwachen. Sind alle Formen des Gebets in unseren Bitten enthalten? Beten wir nur für uns selbst und unsere eigenen Probleme? Schließen wir alle Schwerpunkte des Gebets mit ein, also auch das Lob Gottes und bewussten Dank? Wenn wir für unsere Gemeinde und ihr Zeugnis beten, bitten wir dann auch um die Kraft, unsere Sünden zu überwinden? Es gibt viele Anliegen, für die wir beten können. Manchmal verfallen wir in eine gewisse Routine, oder wir berücksichtigen nur einen winzigen Teilbereich des Gebets, obwohl der Herr von uns will, dass wir Ihm die unterschiedlichsten Anliegen bringen.
Wachsam sein bedeutet auch: Die Erhörung eines Gebets kann neue Verantwortung mit sich bringen, und wir müssen dann angemessen reagieren. Häufig beantwortet Gott unsere Gebete, indem Er uns die Gelegenheit gibt, beim Endresultat eine gewisse Rolle zu spielen. Wenn wir zum Beispiel für die Bekehrung eines Bekannten beten, kann der Herr uns eine einzigartige Gelegenheit geben, mit dieser Person zu sprechen. Wenn wir nicht wachsam sind, merken wir vielleicht gar nicht, was geschieht, sondern wir verhalten uns so, als ob wir uns in einem geistlichen Koma befinden. Wir dürfen niemals so beten, als ob Gott sich um alles kümmere, ohne uns dabei einzubeziehen. Gott beabsichtigt, uns zu Werkzeugen zu machen. Wir können nicht beten: »Herr, errette alle meine Arbeitskollegen, aber bitte gebrauche dafür andere, nur mich nicht, weil es mir peinlich ist, von Dir zu erzählen!»
Wachsam zu sein bedeutet auch, sorgfältig und methodisch vorzugehen. Die meisten Menschen gehen sehr systematisch vor, wenn es um ihre weltlichen Belange geht. Sie unterziehen Kontoauszüge, Rechnungen und Buchhaltungsunterlagen einer genauen Prüfung; aber wenn es um das Gebet geht, sind sie alles andere als gründlich. Sie legen sich noch nicht einmal ein Stück Papier zurecht. Das Gebet sollte in gewissem Maße auch geplant und von Zeit zu Zeit überprüft werden. Das alles ist enthalten in dem Ausdruck »wachsam sein« oder »wachen«. Niemals sollte dieses größte aller Vorrechte, der Dienst des Gebets, unpräzise sein, gedankenlos oder planlos.